Wegen russischem Hauptdarsteller: CineStar-Gruppe lädt finnischen Oscar Beitrag aus
„Die Kultur Europas kann nur eine Kultur des Menschen sein.“
Johann Gottfried von Herder
Wir verurteilen den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine.
Unsere Solidarität gilt allen Menschen, die unter dieser Attacke leiden.
Als europäische Kulturschaffende glauben wir im gleichen Maße an das verbindende Moment der Kultur und des Films. Kultur schlägt Brücken und schafft Kommunikationsräume, wo andere diese zerstören wollen.
Daher sind wir entsetzt ob der Entscheidung der CineStar-Gruppe, den finnischen Film „Abteil Nr.6“ aufgrund der Mitwirkung des russischen Schauspielers Yuriy Borisov aus dem Programm zu entfernen. Auch die Premierenveranstaltung am 30. März, in Anwesenheit des finnischen Regisseurs Juho Kuosmanen, bei der dieser für ein Filmgespräch zur Verfügung hätte stehen sollen, ist davon betroffen.
Diese Entscheidung ist in diesem Einzelfall in seiner Größe fatal, weil russisches Kulturschaffen generalisiert verurteilt wird – sogar dann, wenn dieses im Rahmen einer europäischen Koproduktion stattfindet und der Film als finnischer Beitrag für die diesjährigen Oscars ausgewählt wurde. Es werden Kommunikations- sowie Reflexionsräume geschlossen bzw. gar nicht erst ermöglicht. Es wird aus vorauseilendem Opportunismus eine Absage erteilt, die dazu führt, dass Kultur in seiner Wirkkraft ad absurdum geführt wird. Wofür stehen Kultur, Kino, Film?
Es ist im gleichen Maße erschreckend, dass es einen Film wie „Abteil Nr.6“ trifft, denn dieser Film ist sowohl in seinem Produktionsprozess als auch der künstlerischen Aussage ein Exempel der europäischen Idee, sowie der Kraft und des Zaubers, die entstehen können, wenn Menschen aufeinandertreffen und sich kennenlernen. Und den Mut haben, sich aufeinander einzulassen sowie zuzuhören. Der Film schafft es, diese Begegnung mit einer Leichtigkeit zu erzählen, dass Menschen mit einem Gefühl der Freude und Herzenswärme aus dem Kino kommen. Es ist ein Plädoyer für das Miteinander und nicht gegeneinander.
Dass speziell dieser Film und seine Macher*innen nun für Russlands Machtinhaber stellvertretend in Geiselhaft genommen werden, macht für uns die Entscheidung nur surrealer, weil es bedeutet, dass der Film ungesehen, blind und generalisierend dem Rotstift zum Opfer gefallen ist.
Wir sprechen uns gegen einen generellen Boykott russischer Künstler*innen aus, die uns in der Vergangenheit und Gegenwart mit herausragenden Werken Einblicke und Diskussionsräume geboten haben. Und wir sind solidarisch mit den russischen Menschen, die im heutigen Russland auf die Straße gehen und sich gegen das stattfindende Verbrechen positionieren.
Dies haben im übrigen auch Yuriy Borisov sowie die russische Koproduzentin Natalia Drozd-Makan getan. Sie haben einen offenen Brief russischer Kulturschaffender unterzeichnet, der sich mit „НЕТ ВОЙНЕ“ („NEIN ZUM KRIEG“) klar positioniert sowie aufgrund der aktuellen politischen Lage sehr wahrscheinlich zu Repressalien führen wird.
Wir wehren uns gegen eine undifferenzierte und generalisierende Verurteilung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft und stehen ein für eine offene Gesellschaft, in der Kultur und Film Grundpfeiler demokratischer Kommunikationsräume darstellen.
Wir hoffen auf ein baldiges Ende der russischen Aggression und Frieden für die Ukraine.
Jamila Wenske (Produzentin, Achtung Panda!)
Jakob Kijas (Verleih, eksystent Filmverleih)